Seite
Menü
Info
Sie sind hier:   Startseite > Geschichten > Und sie segeln immernoch...

Und sie segeln immernoch...

In 14 Tagen sollte es mal wieder losgehen: Wie in all den vorangegangenen 25 Jahren war der gesamte Jahresurlaub von 5 Wochen dafür vorgesehen, mit TAHEHA, einer ca. 10 m langen Stahlyacht, die heimatlichen Gewässer von Havel und Wannsee gegen die Ostsee einzutauschen.
Eigentlich schon Routine, denn wie immer waren noch so Kleinigkeiten wie der Einkauf von Unmengen von Lebensmitteln, schier endlosen Packungen von Getränken zu erledigen, Wasser und Diesel war zu bunkern und der Mast mit Hilfe der bordeigenen Jüteinrichtung zu legen.
Und dann war die Maschine kaputt. Einfach so. Die Kurbelwelle des vor 5 Jahren eingebauten VW-Diesel-Motors war gebrochen und hatte ein ziemliches Durcheinander von Zahnrädern und Pleuelstangen verursacht.
Totalschaden!

*********
An einen Urlaub ohne funktionsfähigen Motor war nicht zu denken, denn es mussten etwa 200 Kanalkilometer über Havel, Oder-Havel-Kanal und Oder bis nach Stettin zurückgelegt werden, wo – auch wie immer - in der Mariana Grocwaw der Mast gestellt werden sollte.

Ein gebrauchter Außenbordmotor sollte als Notmotor aushelfen. Also wurde dafür eine provisorische Motorhalterung gebastelt, die bis Stettin halten sollte, wo der Skipper mit Hilfe eines ihm dort bekannten Schweißers eine ordentliche Halterung zusammenschweißen würde.

Der Sohn berichtete von einem alten VW Motor aus einem ausgeschlachteten Fahrzeug, das die Berliner Feuerwehr als Übungsobjekt für ihre Tauchergruppe nutzte.

Die Entscheidung war schnell gefallen: Kaufen und einbauen.
TAHEHA wurde zu einem Werftgelände verholt, auf dem ein Kran für den Ausbau des alten und den Einbau des neuen Motors zur Verfügung stand.
Das wäre eigentlich kein Problem gewesen, wenn nicht der Skipper nach dem Einbau des alten Motors ein Brückendeck aus Stahl eingeschweißt und dadurch das Motorluk erheblich verkleinert hätte.
So konnte der alte Motor zwar in Einzelteilen herausgefummelt werden, aber der Neue passte partout nicht durch das Luk.
Mit einem Trennschneider wurde das Brückendeck herausgeschnitten und die neue Errungenschaft eingebaut. Millimeterarbeit, der dann auch noch ein Lenzrohr des Cockpits geopfert werden muss. Dann aber passte alles.
Nach endlosen Startversuchen, vielen Dosen Startspray und wiederholt aufgeladenen Batterien fauchte der Diesel seine ersten Rauchwolken dem Skipper ins Gesicht. Alle Aggregate wurden angeschlossen und ab gings zur ersten Probefahrt.
Hier noch undichte Dieselschläuche, dort Leckagen an der Wasserkühlung, ab und zu ein Kurzschluss am Starter, weil die elektrischen Kabelverbindungen nur provisorisch zusammengestellt waren, aber die Maschine lief.
Diese kleinen Schäden konnten aber ohne weiteres behoben werden.
Nach zweistündiger Probefahrt kam das aus!
Die Drehzahl des Motors ging höher und höher und überschritt irgendwann die rote Marke auf dem Drehzahlmesser. Es roch nach verbranntem Gummi, es dampfte und zischte erbärmlich. Ausschalten nicht möglich, Kabel durchgeschmort! So blieb als einzige Möglichkeit, das sich abzeichnende Chaos zu beenden, der glücklicherweise erfolgreiche Versuch, die Dieselzufuhr durch Abreißen des Dieselschlauches zu unterbrechen.
Mit Hilfe eines Schleppbootes ging es sehr niedergeschlagen zurück zur Werft.
Motor durch Überhitzung festgefressen.

**************

Einige Stunden und einige beruhigende Büchsen Bier später sowie nach vielen beunruhigenden Ratschlägen von „ Fachleuten“ versuchte der Skipper mehr aus Galgenhumor einen Motorstart und – oh Wunder – der Motor sprang wieder an!
Kabelverbindungen erneuern, Diesel- und Wasserschläuche ersetzen und dann war der Motor wieder einsatzbereit.
Also doch Segelurlaub auf der Ostsee.

Am Tag vor der Abreise biß sich der Skipper noch schnell einen Schneidezahn aus. Sieht nicht so toll aus mit so einer großen Lücke. Es ist zwar Samstag, aber ein zahnärztlicher Notdienst klebte das Problemstück wieder ein.
Abfahrt! Obwohl schon später Abend, Leinen los und ab geht’s zur Spandauer Schleuse Richtung Oberhavel. Die erste Urlaubsnacht vor Anker im Bereich des Niederneuendorfer Sees, leichte Schaukelbewegungen durch vorbeifahrende Fahrgastschiffe halfen schnell einzuschlafen.
Am nächsten Morgen schwammen die Bodenbretter!
Wasser mit einem guten Anteil von Öl im Schiff, aber woher?
Unter langsamer Fahrt wurde der Hafen von Hennigsdorf angelaufen und Ursachenforschung betrieben.
Der Trinkwassertank aus Stahlblech hatte gleich zwei Löcher! Etwa 100 Liter Wasser hatten sich mit den Ölresten der Bilge gemischt. Also Kanister gekauft und die schmierige Mischung in mehrmaligen Stadtfahrten als Sondermüll zu einer Bunkerstation gebracht.
Glücklicherweise hatte der Skipper noch einen Gummitank im Keller, und das Problem war relativ schnell gelöst.

Ruhige Motorfahrt über die Kanäle, wenig Wartezeit vor dem Schiffshebewerk Niederfinow, und dann in den Friedrichstaler Wasserweg, der – auch wenn die Oder nur wenig Wasser hat - mit 2,50 m Tauchtiefe jederzeit eine Fahrt Richtung Norden zulässt.
Übernachtung in Schwedt und dann in Richtung Mescherin, der Grenzstation nach Polen.

Hier muß man beim Grenzboot festmachen und die Papiere vorzeigen. Nichts besonderes, wenn nicht gerade beim Anlegemanöver plötzlich keine Fahrt zurück gemacht werden kann.
Glücklicherweise war nicht viel Fahrt im Schiff und so konnte ein netter Zollbeamter das Boot abfangen.
Der Motor lief, der Propeller nicht. Also das Motorluk aufgeschraubt und ein Blick auf die Welle geworfen: Die Welle drehte sich! Trotzdem keine Fahrt im Schiff ?
Propeller weg!

********


Der Zollbeamte war selber Segler und hatte viel Verständnis für unser Problem. TAHEHA wurde von einem Sportboot aus der Schweiz, das gerade die Grenzkontrollen hinter sich gebracht hatte, an einen Anleger geschleppt. Herr „ KaLeu „ so nannten wir den Zollbeamten, der in Wirklichkeit „Leu“ hieß, brachte einen Katalog mit Schiffsausrüstern, die auch Propeller vertrieben.
Es war Samstag und der einzige Betrieb, der einen eventuell passenden Propeller hatte, war in Potsdam ansässig. Also auf die Bahn gesetzt und nach mehrfachem Umsteigen und einer 3-stündigen Fahrt war der Skipper in Potsdam und bekam einen Propeller mit dazu passender Sicherungsmutter.
Wieder auf die Bahn und zurück in Richtung Mescherin. Leider war die Bahnfahrt aber schon etwa 40 km vor dem Zielort beendet: Samstag, keine Spätverbindung bis Mescherin! Aber
nun griff der Service der Deutschen Bahn: Die Zugbegleiterin des Schienenbusses, dessen einziger Fahrgast der Skipper war, orderte per Funk ein Taxi zum Endbahnhof, das den verblüfften Skipper und seinen Propeller mit einem kleinen Zuschlag von 80 Cent zu der gelösten Fahrkarte sicher bis an das Boot brachte.
Am nächsten Tag war Unter-Wasser-Arbeit angesagt. In mehreren Tauchgängen wurde der neue Propeller auf die Welle geschraubt und gesichert.
Dass dabei ein teurer Schraubenschlüssel für immer in den schmutzigen Fluten der Oder versank, wurde mit Langmut akzeptiert.

***********

Und dann bekam der Skipper böse Zahnschmerzen.
Nachdem der bordeigene Vorrat an Schmerztabletten aufgebraucht war, wurde der nette Zollbeamte nach dem nächsten Zahnarzt befragt. Keine 4 km entfernt…. Das Klappfahrrad wurde zusammengesetzt, bei strömendem Regen, bösen Zahnschmerzen und fast immer bergauf wurde nach mehr als 8 km die Zahnarztpraxis gefunden.
Wegen einer Einweisung in ein neues Verwaltungssystem ist die Praxis geschlossen, stand da auf einem Zettel an der Tür.
Dem verzweifelten Skipper blieb nur ein bettelndes Klopfen an die Tür und - oh Wunder- ein Engel in Weiß öffnete; ein Blick auf den offensichtlich traurigen Zustand des Skippers genügte und er wurde ohne weitere Worte zum Zahnarztstuhl geführt. Eine Spritze, eine neue Füllung und die Welt war wieder in Ordnung.
Der Regen hatte aufgehört, die Zahnschmerzen waren weg und es ging fast 8 km bergab zurück zu TAHEHA.


Am nächsten Tag kam der Sohn aus Berlin mit seinem Tauchgerät angereist und brachte den verlorenen Propeller nach mehreren Tauchgängen wieder ans Licht.
Jetzt hatte TAHEHA einen Ersatzpropeller.
Die weitere Fahrt in Richtung Stettin verlief tatsächlich ohne weitere Schwierigkeiten, sieht man einmal davon ab, dass der neue Propeller eine falsche Steigung hatte und trotz Vollgas nur 3 km Fahrt ins Schiff brachte.
So war es denn doch recht spät, als die Vorstadt von Stettin erreicht wurde. Quer über das gesamte Fahrwasser wahren Schubeinheiten der Binnenreederei miteinander verbunden und versperrten die Durchfahrt. Streik!
Also zurück und nach einem Umweg von mehr als 20 km über ein Nebenfahrwasser, knapp unter einer verdammt niedrigen Brücke durch, doch noch in Richtung neuen Sportbootanleger direkt unterhalb der Hakenterrasse mitten in Stettin.
Weit nach Mitternacht arbeitete dort ein Schwimmbagger und das unaufhörliche Rasseln der Schöpfketten und kreischender Lärm vom Reiben Stahl auf Stahl verhießen wenig Schlaf.
Also drehten wir ab und fuhren weiter bis zur Marina Wrocwaw, wo dann gegen 0300 Uhr endlich die Leinen festgemacht wurden.

***********

Am nächsten Tag wurde der Mast zum Stellen klargemacht, Fallen, Wanten und Stage sortiert und der Jütbaum angeschlagen. Der Mast bewegte sich in die senkrechte Position, leider aber nicht ganz. Ein freundlicher Holländer, der helfend an Deck stand, konnte gerade noch zur Seite springen, als der Mast aus etwa 5 Meter Höhe herabkrachte.
Ein 10er Schäkel war einfach gebrochen.
Bilanz nach dem ersten Schreck: Kein Personenschaden! Toplicht und Windex im Hafenwasser versenkt, Sprayhood zerknautscht, GPS aus der Halterung gebrochen und Kontakte abgerissen, und der Mast hatte nur einen kleinen Kratzer an der Keep!


Und dann stand der Mast doch; das Gestänge des Sprayhoods war provisorisch gerichtet, ein neues Toplicht installiert, eine Windex war nicht zu bekommen, die Funktion des GPS wurde durch althergebrachte Kartenarbeit ersetzt, die Segel gesetzt und TAHEHA segelte durch das wunderschöne untere Odertal dem Stettiner Haff entgegen. Na also, geht doch!

Vor der Zecheriner Brücke wurde eine Bauernnacht vor Anker eingelegt, um am nächsten Morgen den ersten Brückenzug um 0600 Uhr zu nutzen.
Aufstehen um 0500Uhr, leichter Nieselregen - die Brücke öffnete allerdings erst um
0900 Uhr!

Mitten in der Durchfahrt ging der Dieselmotor aus! Aber wir hatten ja Ersatz für alle Fälle:
Nur der Außenbordmotor wollte auch nach dem 100sten Zug am Anreißseil nicht anspringen.

Ein freundlicher Motorbootfahrer, dem der Skipper in Stettin mit Rat und Tat geholfen hatte, schleppte TAHEHA in den Hafen von Rankwitz.
Grund für den Ausfall des Dieselmotors: Der Tank war leer! Schlechte Seemannschaft, wenn auch die Reservekanister nicht rechtzeitig wieder aufgefüllt werden.
Rankwitz, ein hübscher kleiner Fischereihafen mit einem exquisiten Fischrestaurant, besitzt leider keine Tankstelle.
Also griff sich der Skipper seine Reservekanister und machte sich zu Fuß auf den Weg in das 10 km entfernte Usedom. Ein LKW-Fahrer, der gerade Bier auslieferte, nahm den Skipper mit bis zur Tankstelle und brachte ihn mit vollen Kanistern auch wieder ein Stück weit zurück.
Dann hieß es aber doch laufen. Aber nur sehr kurz, denn ein PKW hielt an und brachte den Skipper zurück bis an den Hafen.


Bis Wolgast verlief die Fahrt ohne besondere Probleme. Leider stieg die Betriebstemperatur des Motors immer wieder bis zur roten Marke an. Problemsuche: Sämtliche Schlauchverbindungen überprüfen, Wärmetauscher aus- und wieder einbauen, Verbindung zum Boiler überprüfen, Wasserpumpe auseinander nehmen und Impeller ersetzen. Die Temperatur stieg trotzdem an.
Ratschlag von Fachleuten einholen, keine Veränderung. Dann für 3,50 € ein einfaches Überdruckventil gekauft und eingebaut und alle Probleme waren beseitigt.

********

Es folgten 3 Wochen typisches Ostsee-Segeln: Starkwindwarnungen am laufenden Band, Regen und gemütliche Temperaturen um 10 Grad Celsius und ab und zu Sonnenschein, der alle Schwierigkeiten vergessen half.
Hier nette Kontakte mit der Besatzung eines Küstenwachbootes, von wegen der Papiere und so, dort eine eindeutige Aufforderung durch einen motorisierten Naturschutzranger, der unmissverständlich das Verholen des Ankers von TAHEHA um etwa 10 m forderte, die beim schwoien etwas zu nahe an eine gelbe Tonne gekommen war. Keine weiteren besonderen Vorkommnisse bis zum Wasserwanderliegeplatz in Wismar.
Beim Einlaufen in eine freie Box zeigte TAHEHA beim Abstoppen keine Reaktion.
Motor läuft, Welle dreht….. Propeller im Hafenbecken!

*******

Wieder kam der Sohn aus Berlin mit seinem Tauchzeug zum Einsatz und wieder wurde der Propeller aus dem Schlick des 4 m tiefen Hafenbeckens geborgen.
Und da wir gerade im Wasser waren, wurde der original Propeller auf die Welle gebaut und mit zwei Sicherungen festgeschraubt. Und da ist er noch immer.

Wir verholten TAHEHA an ihren neuen Liegeplatz im Yachtclub Wismar, denn die schöne Urlaubszeit war zu Ende.

Seemannslatein ?? Nein, genau so geschehen im Sommer 2003.

So ganz nebenbei sei noch erwähnt, dass der Skipper das Handy der Bordfrau noch ins Wasser fallen ließ, als er von Bord ging.

Murphies law!

 

Powered by CMSimple | Template by CMSimple | Login